Das katharische consolamentum — Georg Schmitz-Valckenberg
Das katharische consolamentum
Grundlehren katharischer Sekten des 13. Jahrhunderts – Georg Schmitz-Valckenberg, S. 230-234 1971 München
In Absetzung von der kirchlichen Praxis der Taufe übten die Katharer als Initiationsritus das consolamentum (31). Für die dabei geübte Handauflegung konnten sie sich formal durchaus auf die Schrift berufen, aber ihre Verwerfung der christlichen Taufe, weil in ihr der Heilige Geist nicht verliehen würde (32), beziehungsweise die Interpretation der biblischen Zeugnisse für eine Taufe auf die katharische Form der Taufe des consolamentum ist nicht zu belegen (33).
Die religiöse Praxis des consolamentum wurde von allen Gruppen der Katharer geübt. Der Ritus galt als Aufnahmeritus zur vollen Mitgliedschaft in der Sekte; daher konnten allein die perfecti , die ihn empfangen hatten, als vollwertige Mitglieder der Sekte gelten . Zugleich war er auch ein Bußritus, weil er die Sünden auch die in einem anderen Leben begangenen Sünden tilgte und damit den Gläubigen erst zum Katharer zum Reinen – machte. Außerdem war er aber Vollkommenheitsritus und machte den Gläubigen (credens) zum Vollkommenen (perfectus ) , war also als Reifesakrament dem christlichen Brauch der Firmung zu vergleichen . Weiter sind auch Vergleiche zur Krankenölung und zum ordo zu ziehen, insofern das consolamentum, als Sterbesakrament verliehen, den Empfänger in die Gemeinschaft mit Gott hob, und der perfectus auch durch das consolamentum zum Geistträger wurde (34).
Das katharische consolamentum wurde zunächst durch den Bischof erteilt. Die Gewalt war aber nicht allein auf ihn beschränkt, denn bei seiner Abwesenheit wurde es auch vom filius maior und filius minor gemeinsam oder auch vom Diakon und im Notfall vom Subdiakon erteilt (35). Dem consolamentum voran ging eine Zeit der Unterweisung und Erprobung (36), nach deren Abschluß eine Art Scrutinium vorgenommen und ein Glaubensbekenntnis mit einer Absage an die Sakramente der katholischen Kirche geleistet wurde (37).
Der Ritus sah vor, daß dem Aspiranten ein Evangelienbuch über den Kopf gelegt wurde, während ihm die anwesenden Brüder ihre rechte Hand auf Kopf und Schulter legten. Der Zelebrant sprach gleichzeitig eine trinitarische Formel, rezitierte siebenmal das Vaterunser (38) und zum Schluß den Anfang des Johannesevangelium. Nach diesem Akt waren dem Betreffenden alle Sünden vergeben, und der Heilige Geist war ihm eingegossen.
Die Darstellung des Ritus durch Moneta von Cremona wird bestätigt durch das uns überlieferte provenzalische Rituale, das uns den Ritus in allen Einzelheiten schildert, wie er bei Anwesenheit der Gemeinde vollzogen wurde. Unschwer sind dabei Elemente wiederzuerkennen, die ihren Ursprung in kirchlichen und klösterlichen Riten haben. Diesen Abhängigkeiten nachzugehen, kann hier allerdings nicht unsere Aufgabe sein.
Auch nach dieser Vorlage beginnt der Ritus mit dem siebenfachen Beten des Vaterunser, das vorher dem Aspiranten tradiert wurde. Das Gebet wird hier von allen Anwesenden, Männern und Frauen gemeinsam gebetet. Dann folgt ein Absolutionsgebet des amtierenden Liturgen, der hier ordinatus heißt, und der Gemeinde, der Aspirant empfängt darauf das Buch ( Evangelienbuch), bestätigt seinen Willen , die geistliche Taufe Christi zu empfangen, und verspricht die von einem perfectus, der das consolamentum empfangen hat, erwartete Lebensführung.
Anschließend hält der ordinatus eine exhortatio, in der das consolamentum als geistliche Taufe abgesetzt wird von der Johannestaufe, die als eine nur leibliche Taufe dargestellt wird. Auch der Mythos eines jenseitigen, aber in Gefangenschaft geratenen Israel, der Entweihung des himmlischen Jerusalem und der Erlösung durch Christus klingt hier an. Ebenso wird auch das Schriftfundament dieser geistlichen Taufe betont und sie als Geistverleihung dargestellt, durch die allein das Heil vermittelt wird.
Weiter werden dann die katharischen Verhaltensnormen dargelegt, die Forderung absoluter Keuschheit, die Vermeidung von Menschentötung, Unzucht, Diebstahl und Eid sowie die Abstinenz von Laktizinien, Eiern und Fleisch. Darauf nimmt der ordinatus dem Aspiranten das Versprechen ab, diese katharischen Gebote einzuhalten, und der Aspirant bittet um die Erteilung des consolamentum und um die Verzeihung der Sünden, die irgendwann in ihm begangen wurden (39). Dann kniet der Aspirant vor dem ordinatus nieder und legt seine Hände auf einen Teller vor diesem. Dieser legt ihm das Evangelienbuch aufs Haupt, und alle Anwesenden legen ihm die rechte Hand auf, wobei der ordinatus verschiedene Weihegebete spricht, zuletzt den Anfang des Johannesevangelium und ein Schlußgebet . Der neue perfectus küßt darauf das Buch und bedankt sich, indem er allen Anwesenden das servitium leistet (40).
Das consolamentum war grundsätzlich nicht wiederholbar, weil der Aspirant dadurch zum perfectus und Geistträger, also ontisch gut wurde und nicht mehr sündigen konnte. Der Akt galt aber als nicht zustandegekommen, wenn Empfänger oder Spender anschließend in schwere Sünde fielen. In einem solchen Fall wurde der Ritus wiederholt (41). Wurde ein Sektenangehöriger (credens) schwer krank, konnte ihm auf Wunsch ebenfalls das consolamentum erteilt werden (42).
Während die Katharer die christliche Wassertaufe ablehnten, sahen sie in der Erteilung ihres consolamentum die wahre Taufe, die von Christus für heilsnotwendig erklärt worden war. Moneta unterschied hingegen zwischen der Johannestaufe, der christlichen Wassertaufe und der Handauflegung, um so die These der Katharer terminologisch und sachlich zu entkräften (43).
Moneta wollte die Heilsnotwendigkeit der Handauflegung, die von den Katharern gelehrt wurde, nicht anerkennen und sprach deshalb von zwei Sakramenten, der heilsnotwendigen Taufe und der Firmung als Vervollkommnung. Auch der Hinweis, daß schon die Apostel diese Handauflegung empfangen haben sollten, erschien ihm nicht stichhaltig, weil nicht erwiesen. Außerdem waren auch andere Menschen schon als gerettet zu betrachten, ohne von Jesus oder den Aposteln je die Handauflegung erhalten zu haben (44).
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31- Mon. Crem. 112a.
32- Mon. Crem. 275b; 278a; vgl. DÖLLINGER II, 155.
33- Mon. Crem. 402a.
34- Mon. Crem. 277 (1—2).
35- Mon. Crem. 278 (3), Rainer Sacconi berichtete davon, daß das consolamentum im Notfall sogar von weiblichen Mitgliedern der Sekte erteilt wurde. Liber 65, 11-24.
36- Mon. Crem. 277—278 (2), bei den Bogomilen ist hier ein unbekannter Reinigungsritus genannt, der aber vielleicht nichts anderes ist als eine Probezeit. Liber 151, 8-23; 155,14—156,21; nach dem provenzalischen Rituale geht der Erteilung des consolamentum entweder eine längere Probezeit oder unmittelbar die feierliche traditio des Vater unser voran.
37- Mon. Crem. 393b, die vorherige Unterweisung war den Katharern sehr wichtig und ihr Fehlen bei der kirchlichen Kindertaufe eines der entscheidenden Argumente gegen diese.
38- Mon. Crem. 445a, dem Text des Vater unser fügten die Katharer die Doxologie:, quoniam tuum est regnum, et virtus, et gloria in secula “ an, was ihnen Moneta als eine unberechtigte eigene Zufügung vorhielt. Vgl. Liber 155, 7-13.
39- Liber 164, 16 f.: … que sunt in me commissa et operata pro aliquo tempore usque modo “. Nicht die persönlich verantwortbare Sünde, sondern die Befleckung, die ein böser Geist der Seele in diesem oder in einem anderen Leben zufügte, scheint hier angesprochen.
40- Bei diesem Akt ehrfürchtiger Verehrung, der eventuell identisch ist mit dem, was anderwärts als melioramentum bezeichnet wird (DÖLLINGER II, 4 ; 30 ) , scheint es sich um eine Verehrung des Heiligen Geistes zu handeln, der im Mitbruder wohnend geglaubt wurde. Das melioramentum schuldeten vor allem die credentes den perfecti, es bestand in einer Kniebeuge oder Verneigung mit dem dreifachen Gruß benedicite und konnte sogar als ein Zeichen gelten, daß der Betreffende ein credens war und für seine letzte Stunde das consolamentum zu empfangen wünschte (DÖLLINGER II , 249).
A. BORST, Die Katharer 199, will unter servitium den monatlichen Gottesdienst beziehungsweise die dabei stattfindende Beichte verstanden wissen. Diese Erklärung erscheint aber unbefriedigend, denn es heißt am Schluß des Rituales: „Tunc ordines , christiani et christiane recipiant servicium , sicut consuetudo est ecclesie . ” Dann müßte also nach dem consolamentum des neu aufgenommenen perfectus noch der eigentliche Gottesdienst stattgefunden haben. Auch das Prädikat „recipiant ” würde in diesem Sinne unpassend erscheinen. Außerdem ist vorher die an anderen Stellen überlieferte Weise des melioramentum genannt … et postea facit tres reverentias. ” Das folgende „Tunc ordines” wäre dann als Rubrik zu verstehen und gibt Anweisung, an wen dieses melioramentum beziehungsweise servitium zu leisten sei. „Christiani et christiane ” könnte als doppelter Genetiv verstanden werden: Die ordines empfangen das servitium des oder der Neuaufgenommenen (des Christen oder der Christin). Im Nominativ pluralis würde wohl nur christiani für beide genera stehen.
J. F. NIERMEYER, Mediae Latinitatis Lexicon minus 966 bringt unter dem Stichwort „servitium” (15) zwei Stellen, die servitium im Sinne von adoratio verstehen lassen. C. DU CHANGE, Glossarium mediae et infimae latinitatis VII, 452 spricht unter anderem von „ servitium meliorare ” und zitiert zwei Stellen, die beide servitium im Sinne von Zinstaxe, die aber auch ein Ausdruck der Ehrerbietung sein soll, verstehen. Überhaupt hat der Ausdruck im Bereich des Vasallenrechtes diese Bedeutung. 453 wird ein „ servitium usuale“ genannt, das als Zeichen der Verehrung des heiligen Martinus verstanden wird.
DÖLLINGER I, 205-211 schilderte den Ritus bereits in ähnlicher Weise; er bemerkte aber außerdem, daß die zahlreichen Kniebeugen, die übrigens auch im katharischen Rituale genannt sind, eine gegenseitige Adoration darstellten, da man in dem Bruder ein Gefäß des Heiligen Geistes sah. Döllinger fügte dem Pflichtenkatalog auch hinzu (vgl . DÖLLINGER II, 4), daß der perfectus nur geweihte Speise zu sich nehmen durfte, diese Speisenweihe aber jeweils nur ein anderer vornehmen konnte. Im Gefängnis sollen deshalb zahlreiche Katharer die ungeweihte Speise verweigert haben und dann verhungert sein.
DÖLLINGER II, 272 bringt aber auch ein Zeugnis, in welchem ein credens der Sekte über den Empfang des consolamentum berichtete, aber hinzufügte, er sei nie dabeigewesen, weil es immer nur im geheimen, das heißt, wohl nur bei Anwesenheit der perfecti erteilt wurde. Die Bedeutung des Begriffes servitium wird noch unklarer, wenn man die ebenfalls von A. Dondaine (Liber 151–156) zugänglich gemachte „ Traditio orationis sancte” berücksichtigt. Nach der Übergabe des Pater noster erweist hier der credens dem ordinatus die dem melioramentum entsprechende Reverenz, die er nach einer exhortatio des ordinatus wiederholt. Erst zum Abschluß des Ritus wird dann als Rubrik angemerkt, daß der credens das servitium empfangen soll: „Tunc si credens non debet consolari oportet accipere servicium et ire ad pacem” (Liber 156, 20 f .) . Demnach wird also an dem betreffenden credens ein Ritus vollzogen, der anstelle des consolamentum treten soll oder sonst im Anschluß an das consolamentum vollzogen wurde. Auch hier wurde unmittelbar vorher die Leistung des melioramentum erwähnt, aber diese weitere Rubrik scheint auf etwas anderes hinzuweisen. Vielleicht ist in diesem Zusammenhang an den Empfang des geweihten Brotes zu denken, wie es auch Liber 165, 9 f. vorstellbar ist, wo dann ordines, christiani et christiane doch als parallele Aufzählung von drei Nominativen zu gelten hätte.
41- Mon. Crem. 59b.
42- Zum vereinfachten Ritus dieses consolamentum vergleiche DÖLLINGER II, 27; Mon. Crem. 278a/b; 393b bemerkte Moneta hierzu sogar, daß die katharische Gemeinde in solchen Fällen den Nachlaß des Verstorbenen an sich nahm, zumindest aber einen bestimmten Teil beanspruchte. DÖLLINGER I , 205-211 berichtet, daß viele vor dem Empfang des consolamentum zurückschreckten wegen der damit verbundenen rigorosen Forderungen. Sie machten daher als credentes die convenenza, auf dem Totenbett das consolamentum zu empfangen. Starben sie vorher ohne das consolamentum, hatten sie nach der Seelenwanderung eine sichere Anwartschaft, im nächsten Leben das consolamentum zu empfangen. Die convenenza erwies so den einzelnen schon zur Schöpfung des Guten Gottes gehörig, ließ ihm aber jede sittliche Ungebundenheit. Die convenenza dürfte demnach eine ähnliche Bedeutung wie die intendentia gehabt haben.
DÖLLINGER II, 271 erscheint eine Aussage, die eine Praxis solcher consolamenta auf dem Totenbett beleuchtet, wenn sie auch sicherlich nicht generell verstanden werden darf. Dem Kranken wurde nach der Erteilung des consolamentum die Frage gestellt, ob er ein Martyrer oder ein Bekenner sein wolle. Der Martyrer wurde dann mit einem Kissen erstickt. Falls jemand diese Prozedur lebend überstand, hatte er als perfectus selbst die Vollmacht, das consolamentum zu erteilen. Der Bekenner wurde drei Tage in die Endura versetzt und hatte, wenn er dann noch lebte, eine ähnliche Autorität wie der Martyrer. In diesen Fällen fiel aber immer das Vermögen des Empfängers dem Spender des consolamentum zu, der nach Belieben damit verfahren konnte.
43- Mon. Crem. 289a
44- Mon. Crem. 294a.
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